08.06.2005

„Sicherheitspolitische Analyse 2005”

Vortragene(r):

Dieter Farwick

Brigadegeneral a.D.

Ort: Gemeindehaus „Schwarzer Ritter”, St. Fidelis, Sigmaringen

Die Defizite der deutschen Sicherheitspolitik

Sigmaringen(pew) - Es sei schon ein offener Widerspruch. Einerseits werden deutsche Soldaten weltweit eingesetzt. Seit Jahren auf dem Balkan, in Afghanistan und Usbekistan, am Horn von Afrika und in Georgien. Neuerdings im Sudan. Und wenn es nach dem Willen des Verteidigungsministers geht, sind weitere Einsätze in Afrika nicht ausgeschlossen. Auch friedenserzwingende Einsätze, die eigene Verluste bringen können. Andererseits habe weder die jetzige Bundesregierung noch ihre Vorgängerinnen es für nötig erachtet, die deutschen sicherheitspolitischen Interessen zu analysieren und politisch zu formulieren.

Mit dieser nüchternen Feststellung begann Dieter Farwick seinen Vortrag vor der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik in Sigmaringen.

Farwick weiß wovon er spricht. Als General a.D. und einer fast vierzigjährigen Laufbahn bei der Bundeswehr steht seine sicherheitspolitische Analyse 2005 auf dem Fundament persönlicher nationaler und internationaler Berufserfahrung, die ihn als Angehöriger des Planungsstabes im Verteidigungsministerium unter Wörner, als Chef des Amtes für das militärische Nachrichtenwesen und als Operationschef in einem NATO-Hauptquartier mit allen wesentlichen Stellen für den politischen Rahmen des Einsatzes von Streitkräften zusammenbrachte. Mit einer unverständlichen Zurückhaltung habe keine der benannten Regierungen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein umfassendes Dokument mit der Formulierung der deutschen Interessen herausgebracht, die konkrete Politik sei deshalb nur reaktives Stückwerk geblieben.

Vitale deutsche Interessen dabei seien die eigenen Interessen trotz des ständigen Wandels in den letzten fünfzehn Jahren immer deutlicher zutage getreten. Der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus, die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Initiativen zum Rüstungsabbau und zur Rüstungskontrolle zählten ebenso dazu, wie die Sicherstellung der eigenen Rohstoff- und Energieversorgung, die Unterstützung des deutschen Exports durch die Befriedung der Krisengebiete und nachhaltige Umweltschutzmaßnahmen.

Aber auch neue Initiativen zur Stärkung internationaler Bündnisse, allen voran die NATO und die Europäische Union, seien notwendig, um der zunehmenden Bindungslosigkeit und nationalen Eigenwegen entgegenzutreten und leistungshemmende Mehrklassengesell - schaften in diesen Bündnissen zu verhindern. Und letztlich sei auch der ideelle Hintergrund unserer Gesellschaft durch unzweifelhaftes Eintreten für die Einhaltung von Menschenrechten und für Freiheit und Gerechtigkeit beispielhaft einzuklagen. Im Kern habe sich das allgemeine Ziel der sicherheitspolitischen Interessen nur wenig geändert. Es soll verhindert werden, dass die deutsche Politik erpressbar wird und dass die territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik im Rahmen bestehender Bündnisse durch die Fähigkeit zur Landesverteidigung gewährleistet wird.

Gerade hier attestiert Farwick der jetzigen Regierung entscheidende Defizite.

Weltweite Herausforderungen

Diese deutschen Interessen müssten sich messen lassen an den weltweiten Krisen und Konflikten und deren Ursachen. Dabei habe sich herausgestellt, dass Erfolge oder Misserfolge in einem Teil der Welt unmittelbare Auswirkungen haben auf die anderen kritischen Gebiete. Trotz dieser Erkenntnis seien bis heute kaum Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Krisenprävention geschaffen. Farwick fordert eine nationale Sicherheitsagentur, in der alle Erkenntnisse zusammengeführt werden, um durch frühzeitige Information und Entscheidungshilfe die konkrete deutsche Sicherheitspolitik zu unterstützen.

Jahrzehntealte Konflikte wie in Israel und Palästina blieben ungelöst, während neue Krisenherde wie im Kaukasus, in Zentralasien oder in Afrika auch die deutsche Politik zum Handeln zwingen. Ebenso sei die zukünftige, längerfristige Entwicklung von Staaten wie Russland, China, Pakistan und Indien, von Nordkorea, der Ukraine und Weißrussland alles andere als klar absehbar. Gleichzeitig sei ein Bedeutungswandel multinationaler Organisationen, wie der UNO, NATO und EU feststellbar und geännen zunehmend andere Organisationen wie die G8 Staaten maßgeblichen internationalen Einfluss.

Dies alles fordere, so Farwick, eine Sicherheitspolitik aus einem Guss. Sonst würde die deutsche Politik auch weiterhin durch Überraschung zu ausschließlich reaktivem Verhalten gezwungen sein. Griffige Formeln wie „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt” oder neuerdings in Dafur genügten allein nicht.

Zeitungsbericht

Sicherheitsanalyse
BG a.D. Farwick bei seiner Sicherheitsanalyse.