04.10.2006

„Soldat in Staat und Gesellschaft” - Sicherheitspolitik im Interesse oder ‘freundlichen Desinteresse’ der Bevölkerung

Vortragene(r):

Claire Marienfeld-Czesla

Präsidentin der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik

Ort: Gebäude 15, Graf-Stauffenberg-Kaserne, Sigmaringen

Ein hochinteressantes Thema aus der Oktober-Vortragsreihe der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik e.V. in Verbindung mit dem Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. in Räumen der 10. Panzerdivision Sigmaringen. Und zu diesem Thema referierte keine geringere, als die ehemalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Frau Claire Marienfeld-Czesla. Eine große Zuhörerschar konnte der Sektionsleiter Sigmaringen, Oberstleutnant d.R. Bernhard Schleyer, begrüßen und drückte seine Freude darüber aus, dass die ehemalige Wehrbeauftragte und heutige Präsidentin der GfW sich dieses Themas annahm, welches Bundespräsident Professor Dr. Horst Köhler anläßlich der Kommandeurtagung am 10. Oktober 2005 in Bonn ähnlich anschnitt. Bundespräsident Köhler meinte, „daß es dringend notwendig sei, daß die Aufgaben der Bundeswehr in's öffentliche Bewußtsein rücken. Derzeit sehe er eher ein ‘freundliches Desinteresse’. Es beruhe einerseits auf einer vorsichtigen Distanz zu allem Militärischen. Andererseits habe sich das Bedrohungsgefühl auseinander entwickelt. „Früher drohte den Bürgern in Zivil und den Bürgern in Uniform dieselbe Kriegsgefahr. Heute scheinen die Heimat friedlich und die Einsatzorte der Bundeswehr weit. ... Eine breite gesellschaftliche Debatte über die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik unseres Landes sei deshalb dringend erforderlich!”

Die GfW und Frau Marienfeld kommen dieser Aussage von Bundespräsident Horst Köhler im Vortrag entgegen. Vorrangig stellt sich die Frage, „Wie kann die Welt sicherer werden?” Die unmittelbare Betroffenheit reißt uns aus der Lethargie heraus - doch hält diese leider nicht lange an. Die Deutsche Sicherheitspolitik hat der Bundeswehr eine Mammutaufgabe aufgebürdet, welche nur schwer lösbar erscheint. Seit über 10 Jahren ist die Bundeswehr ständigen Veränderungen ausgesetzt und von den Betroffenen wird Verständnis und Flexibilität verlangt. Auch die Ausbildung der Soldaten reicht nicht mehr aus - vor allem um dann noch Überzeugungsarbeit für Einsätze zu leisten. Es muß hinterfragt werden, ob dieser oder jener Einsatz gerechtfertigt ist, wenn sich in den Einsatzgebieten fast nichts zum Besseren verändert hat. Dabei müssen unsere Soldaten nicht nur verschiedene Funktionen übernehmen, sondern auch lernen, mit Angst, Elend und Tod umzugehen und zu leben.

Hier ist vor allem dann die Fürsorge des Dienstherren gefragt. Diese gilt übrigens auch für die Familien der im Einsatz stehenden Soldaten, vor allem, wenn diese über Monate Tausende Kilometer von den Angehörigen entfernt sind. Und es ist umbestritten, die Auslandseinsätze verlangen von männlichen wie weiblichen Soldaten enorm viel ab. Deshalb auch von hier einen aufrichtigen Dank an diese Familien! Von 250.000 Soldaten in der Bundeswehr stehen 22% im Einsatz. Und die Ausstattung dieser im Einsatz stehenden Soldaten entspricht noch lange nicht dem, was ein gefahrvoller Einsatz erfordert. Noch haben wir lange ‘Vorwarnzeiten’, mit welchen wir zurecht kommen, aber die jüngste Vergangenheit zeigt, daß diese Zeit durch die vielfältigen Ereignisse - auch in Europa immer kürzer wird! Besonders betroffen ist für einen solchen Einsatz die Infrastruktur, die Versorgung und der Transport in das Einsatzgebiet. Hinzu kommt, daß aufgrund der Verkleinerung der Bundeswehr und die Zunahme der Aufträge die 1,2% des Brutto-Inland-Produktes einfach zu wenig sind, um all diese Erfordernisse zu bewältigen.

Zur Diskussion um die Abschaffung der Wehrpflicht stellte Frau Marienfeld-Czesla fest, dass eine Wehrpflicht in unserer Gesellschaft notwendig ist, denn die Wehrpflicht helfe der Bundeswehr, geeignete junge Leute zu finden, welche fähig sind, schwierige Aufgaben zu lösen - auch im Ausland. Die Befürworter einer Aufhebung der Wehrpflicht sind im Moment verstummt, was aber nicht heißt, daß diese unterschwellig doch weiterhin gefordert wird. Nur, und das stellen inzwischen unsere europäischen NATO-Partner und als assoziiertes Mitglied auch Frankreich fest, daß die Aufhebung der Wehrpflicht ein großer Fehler war - doch diese wieder zurückzuholen, geht nicht mehr. Die Gefahren in unserem eigenen Land (z.B. durch asymmetrische Bedrohung) wächst und kann nur von eigenen Soldaten bewältigt werden. Dadurch erhalten unsere Soldaten auch wesentlich mehr Akzeptanz für die bestehenden und zukünftigen Auslandseinsätze. Das längst fällige Weißbuch, welches voraussichtlich Ende Oktober erscheinen wird, nimmt zu dem gesamten Aufgabenspektrum und der Stellung der Bundeswehr in unserer heutigen Gesellschaft Bezug.

Im Denken der ‘Spaßgesellschaft’ muß entgegengewirkt werden, denn Teile der Gesellschaft betrachten die Bundeswehr als Dienstleistungsbetrieb. Es fehlt der Bundeswehr einfach die Anerkennung. Es reicht nicht aus, nur ‘Katastropheneinsätze als etwas Besonderes’ zu empfinden. Hier zeigt sich ein bedenklicher Mangel an Kenntnissen zum Umfeld der Aufgaben unserer Bundeswehr. Zu gerne wird der ‘Kosten-Nutzen-Vergleich’ angestellt, also ob die Kosten den Nutzen wert sind! Zusammenfassend hält Frau Marienfeld-Czesla fest, daß die Bundeswehr immer im parlamentarischen Auftrag handelt. Dazu gehören aber auch die notwendigen finanziellen Mittel, um die vielfältigen Aufgaben mit größtmöglicher Sicherheit zu bewältigen. Sicherheitspolitik ist keine Tagespolitik! Sie muß langfristig angelegt sein - nur fehlt häufig das Interesse der Bevölkerung. Warum? Weil eine nationale Identität fehlt! Der Soldat der Bundeswehr muß sich mit seinem Staat, seiner Nation identifzieren und ohne Bürgersinn kann ein freiheitlicher Staat nicht überleben!

Wir dürfen nicht müde werden, uns für den Staat Bundesrepublik Deutschland, die Gesellschaft - und zum Erhalt der Wehrpflicht einzusetzen. In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, warum die Politiker nicht klar und deutlich das ‘Wie und Warum’ eines Einsatzes erklären und welche Folgen es enthalten könnte. „Wo sind Deutsche Interessen berührt, was eine Verteidigung am Hindukusch notwendig macht?” Politiker aller Fraktionen sollten mit Ihrer Aussage warten, bevor sie an die Öffentlichkeit gehen und nicht vorpreschen und damit Unsicherheit erzeugen. Sie müssen über eine Angelegenheit erst nachdenken, beraten und dann entscheiden! Weitere Aussagen waren die zur nationalen Identität. Hier sind vor allem auch die verantwortlichen Medien gefragt, welche ihren Nachwuchs schulen und sensibilisieren müssen. Auch die Politiker haben vernachlässigt, Idendität zu bieten, also die Grundlage für ein nationales Bewußtsein zu schaffen, weshalb sicher auch der Rechtsextremismus zunimmt.

Zeitungsbericht

Frau Marienfeld Saal Vortrag
Frau Marienfeld bei Ihrem Vortrag Frau Marienfeld bei Ihrem Vortrag Frau Marienfeld bei Ihrem Vortrag
Diskussion 1 Diskussion 2 Diskussion 3
Lebhafte Diskussion nach dem Vortrag Diskussion nach dem Vortrag V.l.n.r.: Polizeidirektor Falk, Brigadegeneral Kopp und Frau, Brigadegeneral a.D. Farwick, Oberstleutnant i.G. Jöbgen, Dr. Schwörer
Geschenk Verabschiedung
Verabschiedung durch den Sektionsleiter Verabschiedung durch den Sektionsleiter